»Wald vor lauter Bäumen — Forest for the Trees«

Stipendiatenausstellung des 28. Internationalen Atelierprogramm der ACC Galerie und der Stadt Weimar

Audino Diaz’ -„Irony of the Forest“ (Ironie des Waldes) WandinstallationForest“ (Ironie des Waldes) WandinstallationAudino Diaz’ -„Irony of the Forest“ (Ironie des Waldes) WandinstallationForest“ (Ironie des Waldes) Wandinstallation

Ort: ACC Galerie Weimar, Burgplatz 1+2, 99423 Weimar

Website der ACC Galerie | Wald vor lauter Bäumen – Forest for the trees

Zeitraum: 26.2. bis 4.5.2023

1994 von der ACC Galerie und der Stadt Weimar ins Leben gerufen, ist das Internationale Atelierprogramm (IAP) das älteste seiner Art im Freistaat Thüringen. Bislang waren 85 Künstler*innen aus 40 Ländern in Weimar zu Gast: Ägypten, Argentinien, Australien, Belgien, China, Deutschland, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Guatemala, Irak, Iran, Irland, Israel, Italien, Jamaika, Japan, Kanada, Kolumbien, Kroatien, Kuba, Mazedonien, Mexiko, Nepal, Niederlande, Norwegen, Pakistan, Peru, Portugal, Russland, Serbien, Simbabwe, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Uruguay, Venezuela, USA.

Die drei Stipendiat*innen des 28. Internationalen Atelierprogramms Dania González Sanabria (*1990, Kuba), Audino Diaz (*1973, Venezuela) und Jessica Wetherly (*1989, Großbritannien) setzten sich während ihres viermonatigen Gastkünstleraufenthaltes im Städtischen Atelierhaus Weimar mit dem Thema »Wald vor lauter Bäumen — Forest for the Trees« künstlerisch auseinander.

Dania González Sanabria (*1990) koppelt Ánima – The Inner Landscape (Ánima – Die innere Landschaft), eine seit der ACC-Ausstellung Dirty Talking – Thüringer Verführungen wachsende Sammlung von Erinnerungsobjekten von Bürger*innen aus Weimar, Friedrichsrode (Nordthüringen), Halle (Saale) und Havanna (Kuba), an ein hängendes Bewässerungssystem, das ausgehend von herzähnlichen Gefäßen in Intervallen Wasser über ein vieladriges Pipelinesystem in Teile dieses Mikrobiotops tropft, um jene Erinnerungslandschaft mit Moosen und anderen Pflanzen (wörtlich und symbolisch) zum Leben zu erwecken. Eine interaktive Langzeit-Performance hilft Interessierten zudem, in einer Erinnerungswerkstatt ihre Geschichten auf Papier zu bannen und einzupflanzen. Jeder ist herzlich eingeladen, sich mit Objekten, Materialien jeder Art und Größe oder Erinnerungen an diesem Kunstprojekt zu beteiligen. Und Algunas cosas quedaron (Einige Dinge sind geblieben) ist eine Installation aus sechs Bienenstöcken (eines DDR-Bienenzuchtbetriebs), deren "soziale Konstruktion" herausnehmbare Fotos lichtbildartig (hinter Wabenstrukturen) mit Erinnerungsmotiven kombiniert, die auf historischen, sozialen und politischen Bezügen zu den Utopien und Dystopien des Kommunismus basieren, ein Projekt, das mit der ACC-Schau An den Rändern taumelt das Glück seinen Anfang nahm.

Die Enteignung, die der Mensch Mutter Natur zufügt und die den Menschen der Zukunft dazu bestimmt, in der Unsicherheit eines verwüsteten Universums zu leben, zieht sich als konstante Sorge durch Audino Diaz’ (*1973) Werk. Aus zahllosen welken Laubblättern entstand seine Wandinstallation Irony of the Forest (Ironie des Waldes). Die zehnteilige Gemäldeserie Hidden Forest (Versteckter Wald) spiegelt des Künstlers spirituellen Zustand wider. Steine waren bei den indigenen Völkern so wichtig wie Menschen, weil sie als alt und erfahren galten. Visual Insights, Language & Google Translator (Visuelle Einblicke, Sprache & Google-Übersetzer) ist ein Buch mit 86 colorierten Zeichnungen, auf denen sich Audino Diaz mit spirituellen Themen und Überlegungen rund um die Natur und den Menschen auseinandersetzt. Er setzt Bilder und Sprachausdrücke, die auf den Erfahrungen seines Lebens beruhen, in Beziehung zueinander. Die Skulptur Self Portrait as Natural Force (Selbstbildnis als Naturgewalt) ist aus einer schamanischen Katharsis hervorgegangen – der Künstler als ein Wesen, das zu seiner natürlichen Umgebung gehört und Teil von ihr ist. Die hier verwendeten Materialien (Haare, Finger- und Zehennägel und Pferdemist) erlauben es ihm, mittels eigener Zellen mit einer Welt zu verschmelzen, die eine andere Realität hervorruft.

When the Moon Howls (Wenn der Mond heult) ist ein Projekt von Jessica Wetherly (*1989), in dem sie die Verzauberung und Entzauberung des Waldes nach Jahrhunderten der Domestizierung und Fragmentierung erforscht. Die skulpturale Installation, die sich über drei Räume erstreckt, wird zu einem Spukhaus, in dem sich Mythen, Märchen und Folklore verflechten. Die Ausstellung ist eine Traumlandschaft, eine neue rituelle Erzählung, die sich mit Ausdauer, Angst und Isolation befasst und die Erfahrungen der Künstlerin mit nächtlichen Wanderungen reflektiert. Sie schlüpft in ein Wolfskleid, um sich wieder mit der Wildnis zu verbinden, als Gegengift und Flucht vor der Monotonie des Ökozids. Diese Metamorphose eröffnet radikale neue Wege des Denkens und der Verbindung zum Nicht-Menschlichen. Die zur Ausstellung erschienene Publikation verarbeitet einige Erfahrungen Jessica Wetherlys hier in Thüringen, sie enthält einen Bildessay Spirit of the South Slope (Geist des Südhangs) über den Weißdornwald am Südhang von Ettersburg sowie einen Essay A Haunted House (Ein Spukhaus), beide von Jessica Wetherly, und die Kurzgeschichte Lady of the Wood (Die Frau aus dem Walde) von Harry De Moraville. Wetherly und De Moraville haben diese Texte nach ihrem Besuch in Bayern geschrieben.

10 Fragen

an die Stipendiat*innen des 28. Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie Weimar und der Stadt Weimar Dania González Sanabria (*1990, Kuba), Audino Diaz (*1973, Venezuela) und Jessica Wetherly (*1989, Großbritannien) zum Thema »Wald vor lauter Bäumen — Forest for the Trees«

Frage 1:

Geistiger Vorreiter und Namensgeber unseres Atelierprogramms ist der deutsche Dichter, Übersetzer und Herausgeber aus der Zeit der Aufklärung Christoph Martin Wieland (1733-1813), neben Goethe, Schiller und Herder einer der "Fab Four", des klassischen Viergestirns von Weimar. Der "deutsche Voltaire" hat die Redewendung "Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen" in Anlehnung an antike lateinische Vorbilder in mehreren seiner Gedichte verwendet, so im "Musarion": "Die Herren dieser Art blendt oft zu vieles Licht, Sie sehn den Wald vor lauter Bäumen nicht." Ebenjenes Sprichwort "Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen" findet Verwendung, wenn man etwas sucht und es nicht sieht, obwohl es direkt in der Nähe liegt, wenn man etwas offensichtlich auf der Hand liegendes oder eine naheliegende Problemlösung vor lauter Auswahlmöglichkeiten nicht erkennt oder wenn man den Blick für das große Ganze verliert, es einem an Übersicht mangelt, weil man sich in zu vielen Details verheddert. Siehst Du – abgesehen vom Thema "Wald" – auch einen Zusammenhang zwischen Deiner im Rahmen des Programms entstandenen Arbeit und der sprichwörtlich-metaphorischen Bedeutung "den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen"?

Dania González Sanabria: Es gibt keinen besseren Weg, sich ein Umfeld oder eine Gesellschaft vorzustellen, als durch ihre intimsten und individuellsten Geschichten. Ich komme aus einer Gesellschaft, in der das politische System uns unter dem Motto "kollektive Interessen stehen über individuellen Interessen" aufwachsen ließ, und die Freiheit, das Glück und die Entwicklung, die uns versprochen wurden, waren immer auf eine abstrakte und letztlich nichtexistierende Gesamtheit ausgerichtet. Wie kann ein Ökosystem gesund bleiben, wenn seine Arten und Individuen zusammenbrechen, sobald man das Streben nach Glück und Entwicklung in Betracht zieht und sich den Wald als Gesellschaft vorstellt? Wie kann eine Gesellschaft als gesund bezeichnet werden, wenn eine Minderheit ausgegrenzt wird? Für wen wäre der Wald da, wenn nicht für die Bäume und Lebewesen, die ihn ausmachen?

Audino Diaz: Wenn ich in meiner Sehnsucht, diesen Raum zu betreten, den ich als den Ort verstehe, an dem ich die Göttlichkeit umarmen kann, nicht in der Lage bin, den Wald zu finden, greife ich auf eine Selbstversunkenheit zurück, in der ich, indem ich die Augen schließe, das ersehnte Universum erblicke, in dem ich mit dem Ganzen kommunizieren kann. Schließlich komme ich zu dem Schluss, dass der Wald in mir ist.

Jessica Wetherly: Wir leben in einer Welt, die von Informationen übersättigt ist. Unser Gehirn versucht, diese Überlastung zu reduzieren, indem es Vermutungen anstellt, und diese Automatisierung unserer Umgebung macht es sehr schwierig, tatsächlich zu sehen, was direkt vor uns liegt. Das Lebenstempo, das wir in der heutigen Gesellschaft erleben, ist so schnell, dass die Instinkte in höchster Alarmbereitschaft auf das Unmittelbare reagieren, kurzfristiges Denken hat Vorrang vor langfristiger Belohnung. Man pflanzt einen Wald nicht für sich selbst, sondern für die kommenden Generationen. Mit meiner Arbeit versuche ich, die Menschen an das Wunder und die Komplexität des Lebens zu erinnern, um die gegenwärtige Trägheit zu überwinden und die notwendigen systemischen Veränderungen zur Wiederbelebung und Diversifizierung unserer Ökosysteme zu fordern. Die Erhabenheit der Bäume hat etwas an sich, das uns vergessen lässt, dass sie selbst ganze Ökosysteme sind und in komplexen Gemeinschaften mit symbiotischen und parasitären Lebewesen existieren. Mich reizen diese Welten innerhalb der Welten, um Wege zu finden, diese Geschichten zu erzählen. Andere Wege des Denkens zu finden.

Frage 2:

Wie würdest Du den Satz "Phantasie hat ein Recht, im Schatten des Baumes zu schwelgen, aus dem sie einen Wald macht" des österreichischen Schriftstellers Karl Kraus für Dich und die eigene Arbeit auslegen?

Dania González Sanabria: Während eines künstlerischen Prozesses ist es am befriedigendsten, wenn persönliche Interaktionen stattfinden, Erfahrungen ausgetauscht und Geschichten erzählt werden und Liebeskummer verarbeitet wird, um jede Person wiederaufzubauen, damit sie sich in ihrer Umgebung besser zurechtfindet und darüber nachdenkt, wie sie diese im Sinne von Freiheit und Empathie verändern kann.

Audino Diaz: In der Phantasie finde ich die Gewissheit des Möglichen. Wenn ich mir etwas vorstelle, glaube ich. Wenn ich glaube, stelle ich mir etwas vor.

Jessica Wetherly: Wir müssen Raum finden, um in den Träumen in der Dunkelheit und in den Schatten zu verweilen, damit wir die Fülle unseres Potenzials fördern und wachsen und uns im Licht ausbreiten können.

Frage 3:

Besonders wegen des Klimawandels ist der Wald zum Politikum geworden: er wird idealisiert als zu verteidigende Seltenheit, als schwindender Lebens- und Überlebensraum, als CO2-Speicher und Biodiversitätsförderer, als Pendant zur lärmenden urbanen Zivilisation wie zur intensivierten Landwirtschaft, auch als von alters her romantisierte und heute touristische Großattraktion. Was ist der Wald für Dich, welchen Stellenwert haben Natur, Landschaft und Wald in Deinem Leben?

Dania González Sanabria: Ich glaube, dass die Natur eine Umgebung ist, in der Gewalt, Macht, Feindseligkeiten und soziale Zusammenbrüche aufgelöst werden können. Die Natur ist ein Raum der "Entpolitisierung", die selbst eine andere Art von Politik ist als die, die wir kennen, und sie ist der Kreislauf, der sich reinigt und neu beginnt, wenn menschliche Aktionen scheitern.

Audino Diaz: Der Wald ist nichts weiter als das Spiegelbild, das meine Seele projiziert.

Jessica Wetherly: Ich bin in der Nähe von Buchen- und Eichenwäldern aufgewachsen, habe in Parks gespielt, bin auf Bäume geklettert und habe Höhlen gebaut. Ich fing Froschlaich in Bächen und geriet in Schwärme von Mücken. Ich liebte es, draußen zu sein, und heute setze ich diese Abenteuer fort, auch wenn ich heute das Gefühl habe, dass ich viel weiter reisen muss, um die Fragmente der Wildnis zu finden, ich werde nicht mehr von Insektenschwärmen gestört oder höre Vögel in der Abend- und Morgendämmerung, Flüsse trocknen aus und Abfälle liegen an den Rändern. Wir haben Jahrhunderte der Trägheit zu korrigieren. Der Wald ist nicht die Lösung, er ist einer von vielen Lebensräumen, die unsere Ökosysteme bilden, er kann auch Forstwirtschaft bedeuten, eine Monokultur zum Abholzen, die nicht dasselbe ist wie ein alter Wald. Der Wald sucht uns in der Folklore und in Märchen heim, in dem Papier, auf dem wir schreiben, in den Möbeln, auf denen wir sitzen, und in den Balken, die unsere Häuser tragen, er ist in der Kohle, die das Feuer anheizt, und im Benzin, das den Verkehr antreibt, ein Geist, der überall um uns herum brennt.

Frage 4:

Thüringen als das Waldland Deutschlands schlechthin, der Thüringer Wald im Allgemeinen, ein 1.000 Quadratkilometer großes waldreiches Mittelgebirge, der unter Schutz gestellte "Naturpark Thüringer Wald" und sein strenger geschützter Kernbereich, das "Biosphärenreservat Thüringer Wald": Sind sie Dir während Deines Aufenthalts in Thüringen begegnet?

Dania González Sanabria: Noch nicht.

Audino Diaz: Ich habe es gefunden. Es war der Zufluchtsort, der meine spirituellen Bande zwischen mir selbst und dem Behälter der gesamten Existenz stärkte.

Jessica Wetherly: Ja, wenn auch nur kurz. Als ich in Weimar ankam, bin ich die Hälfte des Rennsteigs gewandert. Dieses Biosphärenreservat waren die letzten Kilometer meiner Reise. Obwohl ich sehr müde war, erinnere ich mich, dass der Boden weich und mit Wurzeln durchsetzt war, dass wunderschöne Moose den Boden bedeckten und dass ich aus dem kristallklaren Wasser eines Bergbachs trank.

Frage 5:

Was wird übrigbleiben vom Wald, dem oft idealisierten und romantisierten märchen- und schauderhaften Fluchtort, dem kulturgeschichtlichen Ort des Dunklen, der Einsiedler und Räuber, der Gefahren und Gesetzlosigkeit? Und auch vom psychologischen Ort der Begierde, des Unheimlichen und der Bedrohung? Hat der Wald noch so etwas wie einen "Zauber"?

Dania González Sanabria: Der Wald ist ein Raum, der uns "unbekannt" erscheinen mag, der aber gleichzeitig eng mit unseren Ursprüngen und Instinkten verbunden ist. In ihm sind wir verletzlich und gleichzeitig mächtig. Er ist ein Rückzugsort, eine Ansammlung von Stimmen, Reaktionen und verschiedenen Rhythmen, die wir automatisch in unser Leben aufnehmen. Die Magie des Waldes zu entdecken, seine Elemente und Lebewesen zu beobachten und sich ihnen zu nähern, sich ihm als Mensch nicht fremd zu fühlen und diese Zustände mit anderen zu teilen, wird dazu beitragen, das Bewusstsein für die globale Erhaltung zu stärken. Eine optimale Lösung, anstatt zu versuchen, dem Wald mehr Land für die Dynamik des städtischen Wohnens, Genießens und Essens zu entreißen, besteht darin, das Konzept des verstädterten Raums im Zusammenhang mit der Aufnahme von Wald- und Naturfragmenten zu überdenken, einschließlich der Selbstproduktion von Lebensmitteln und natürlichen Ressourcen (auch wenn dies in kleinerem Maßstab eine Entlastung für die hohen Anforderungen an die Umwelt bedeuten kann).

Audino Diaz: Der Wald wird niemals aussterben. Er wird nur mit der Zeit die Tendenzen des Geistes aufzeigen, der den Menschen beherrscht.

Jessica Wetherly: Ich denke, die deutsche Landschaft ist voll von solchen Schätzen, von den gefrorenen Giganten der Sächsischen Schweiz bis zu den Alpenseen rund um München, selbst die desolaten Berge des Harzes haben ein Geheimnis inmitten der verwüsteten Landschaft. Aber sie sind Fragmente von dem, was einmal war, und es wird Generationen dauern, bis sie sich erholen können. Wir müssen ihnen helfen, sich zu regenerieren, damit unsere Kinder und Kindeskinder immer wieder aufs Neue verzaubert werden können.

Frage 6:

Die Stadt Weimar findet es als Co-Veranstalter des Internationalen Atelierprogramms wichtig, dass die Gastkünstler*innen den Genius Loci Weimars aufspüren. Zweifellos bieten Geschichte und aktuelle Bezüge reichlich Raum für innovative künstlerische Auseinandersetzungen. Besonders spannend sind Interaktionen mit der Weimarer Bevölkerung im Kontext der künstlerischen Arbeit, so wie in der Vergangenheit mehrfach geschehen. Die geistige Atmosphäre Weimars, die durch den Geist der Menschen geprägt sein soll, die sich hier aufgehalten haben oder noch aufhalten, war sie für Dich spürbar? Und konntest Du mit der Weimarer Bevölkerung interagieren?

Dania González Sanabria: Glücklicherweise tat und tue ich, was ich mir vorgenommen hatte. Ein wesentlicher Teil meines künstlerischen Vorhabens und meiner Absicht ist es, mit den Menschen in Kontakt zu treten und sie zu erreichen, um zeitgenössische Visionen von Weimars Vergangenheit, seiner Umgebung, Reflexion und Projektion auf nationaler und globaler Ebene zu vermitteln. Ich habe zahlreiche Geschichten erhalten, die das Erbe, das ich hier zu verstehen suchte, bereichern können. Weimars Vergangenheit ist so stark und überwältigend, dass es schwierig ist, sie in der Gegenwart zu kanalisieren, um die Geschichte zu überwinden, sowohl bei dem Versuch, eine Kultur auf demselben hohen Niveau wie einst zu kultivieren, als auch beim Abbau von Barrieren, die von einer Gesellschaft errichtet wurden, die einst durch Segregation und totalitäre Herrschaft beschädigt wurde. Den jüngeren Generationen und den Kulturräumen mit fortschrittlichen Ideen, wie dem ACC und dem Bauhaus, kommt dabei eine unschätzbare und transformative Rolle zu, und es könnte sehr viel wirksamer sein, wenn auf der Grundlage der Prinzipien dieser geweihten Räume umfassendere Netzwerke zeitgenössischen Schaffens in der Stadt geschaffen würden, die das Alltagsleben aktiver beeinflussen, so dass viel mehr Vertreter*innen des jungen nationalen und internationalen Schaffens häufiger nach Weimar zurückkehren, um dessen volles kulturelles Potenzial auszuschöpfen

Audino Diaz: Auf jeden Fall. Mein Aufenthalt in Weimar wurde von all diesen historischen Persönlichkeiten begleitet, die ich immer bewundert habe, und auch von den Menschen, die heute in Weimar leben. Und in der geistigen Gemeinschaft wurde ich in mentale und emotionale Räume geführt, in denen ich die Werkzeuge fand, die die Materialisierung der Ideen ermöglichten, die ich jetzt mit meinen Arbeiten zeige.

Jessica Wetherly: Ich fand die Menschen in Weimar sehr warmherzig. Besonders gefiel mir die seltsame Kombination aus aristokratischen Gebäuden und höflicher Museumskultur in einer verschlafenen Marktstadt, gemischt mit einem Unterton von lautem Punk und Anarchismus. Ich habe viel von der einsamen Erfahrung und der Interaktion mit den Landstreichern gelernt, die ich hier gefunden habe. Ich habe gute Gespräche geführt, ohne die Sprache zu sprechen. Ich hätte mir gewünscht, mehr nachdenken zu können, Gesellschaft zum Grübeln zu haben, mehr Zeit zu haben, um den Reichtum der Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, aufzunehmen und darüber nachzudenken. Dazu brauche ich einen Moment Abstand von hier, um das, was ich gefunden habe, zu verdichten.

Frage 7:

Und vor allem: Konntest Du das künstlerisch umsetzen, was Du Dir für Weimar vorgenommen hattest?

Audino Diaz: Teilweise ja und teilweise nein. Ein Teil meines Werkes ist vollbracht, aber das Werk, das mich brennend beschäftigt und das noch nicht verwirklicht ist, ist ein Raum-Tempel, in dem die Bewohner*innen Weimars inmitten der Wälder Thüringens Gott begegnen und diesen Dialog führen können, um seine Schöpfung zu bewundern und mit ihr zu kommunizieren. Die Kirche ist der Wald. Gott ist im Wald; das Wesen ist Teil des Waldes.

Frage 8:

Goethe wirft den Gedanken auf, dass der Mensch sich öfter daran erinnern muss, dass er lediglich ein Teil der Natur ist, er stellt die Forderung an den Menschen, sich voll und ganz auf die Natur einzulassen, die Umwelt durch Wanderungen praktisch zu erkunden, auf dass man "erkenne was die Welt im Innersten zusammenhält". Wirkten die Weimarer Gärten und Parks, die Stadtlandschaft und ihre Umgebung – vielleicht auf Spaziergängen entlang der Flusswindungen durch den Ilmpark – als Erweiterungen von Atelier- und Galerieräumen auf Dich inspirierend?

Dania González Sanabria: In der Tat. Die Realität und die Natur übertreffen oft unsere Vorstellungskraft (und Weimar, dieser besondere Raum, ist eine Kombination aus Natur und großer Vorstellungskraft). Das ist die Herausforderung des künstlerischen Schaffens: zu versuchen, die Ebenen dieser überwältigenden Erfahrungen, die uns die Natur schenkt, zu erreichen und sie in etwas Praktisches, Sensibles, Ethisches usw. zu verwandeln.

Jessica Wetherly: Der Ilmpark war die Säule meiner Erfahrungen hier in Weimar. Dieser Landschaftspark zeigt die Würde jedes einzelnen Baumes, der sich in den Himmel reckt, das Wasser sprudelt in kleinen Teichen und die Häuschen säumen den Park sowohl intakt als auch in Ruinen. Sich durch den Park zu bewegen, das war mein tägliches Aufatmen vorm inneren Kampf. Ich habe beobachtet, wie viele Individuen eine Sehnsuchtslinie durch die sich in der Ferne erstreckende Wiese gegraben haben. Ich habe das Spiegelbild des Mondes im dunklen Wasser beobachtet und bin in gleichmäßigem Rhythmus neben ihm hergelaufen, um mich im Licht des Tages zu sonnen. Das Gehen ist ein wesentlicher Teil meiner Praxis. Die hohen Bäume im Ilmpark und auf dem Friedhof waren dabei ständige Begleiter.

Frage 9:

Was war Deine wichtigste in Weimar gewonnene Erkenntnis? Was hat Dich in Weimar weitergebracht, was hat Dir am meisten gefallen, was hat Dich am meisten gestört? Was nimmst Du an Erfahrungen aus dem Programm mit?

Dania González Sanabria: Wir haben eine großartige internationale Gemeinschaft kennengelernt, die vielfältig, offen und kooperativ ist und mit der wir persönliche und berufliche Bande und eine besondere Familie gebildet haben. Während der Residenz haben wir es genossen, die Kultur und Gesellschaft des Anderen kennenzulernen und sehr ernsthaft zu arbeiten. Es war interessant, die Gegensätze der Stadt Weimar kennenzulernen und den Eindruck zu gewinnen, dass sie nach wie vor eine sehr politisierte Gesellschaft ist, denn es gibt einen konservativen Teil, leider auch einen feindseligen Teil, und vor allem sind wir mit den Überresten von Vorurteilen konfrontiert, die bisher überwunden wurden. Das Wichtigste, was ich gelernt habe, ist, dass jenseits der Feindseligkeiten und Mächte sozialer Systeme und politischer Überzeugungen die zwischenmenschliche Kommunikation, das Emotionale, das Sensible, das Natürliche und die Suche nach Freiheit bewahrt werden müssen. Außerhalb der kulturellen Blase war es nicht so einfach, sich zu integrieren und Beziehungen zu knüpfen. Manchmal spüren wir die "kulturellen Missverständnisse" in einer Gesellschaft, die die Menschen dazu zwingt, in ihrem eigenen Raum zu bleiben, auch wegen der kritischen Sprachbarriere.

Jessica Wetherly: Die Geister im Korridor, die Trolle im Keller, die Gespenster und Kobolde auf dem Friedhof. Spaziergänge im Winter, wenn die kurzen Tage schnell zur Nacht werden. Durch den Weißdorn krabbeln, im Schlamm ausrutschen und stolpern. Ich würde nicht noch einmal so viel Zeit allein verbringen, es ist eine lange Zeit, in der man nur mit seinen Gedanken beschäftigt ist, und das ist nicht immer so produktiv, es kann lähmen und stagnieren. Aber es war auch eine Erinnerung daran, dass es langsamere, einfachere Wege zu leben gibt.

Frage 10:

2024 wird unser Internationales Atelierprogramm in sein 30. Jahr gehen: Was kann sich sehen lassen, was lässt zu wünschen übrig und muss unbedingt verbessert werden? Und welchen Themenvorschlag hättest Du für das 30. Programm?

Dania González Sanabria: Mein einziger Vorschlag für den Raum ist, aktiver an den aktuellen digitalen Werbeplattformen zu arbeiten. Auch wenn viele Menschen, die das ACC kennen und bewundern, nicht in Weimar sind, könnten sie durch Updates in den sozialen Netzwerken mehr Zugang zu den Projekten erhalten. Diese sozialen Plattformen sind im Guten wie im Schlechten zu "Wirkungsindikatoren" geworden, die den Werdegang beeinflussen und Künstler*innen und Kulturräumen berufliche Chancen eröffnen. Eine konstante und ausführliche Medienwerbung, die die gute Arbeit und die Projekte des ACC würdigt, würde eine große Zahl junger Kulturschaffender zur Bewerbung und zur Zusammenarbeit anregen und so auch die zeitgenössische Kulturszene Weimars erweitern und ihre internationale Wahrnehmung festigen. Ein entsprechendes Thema könnte "Freiheit" sein. Was ist Freiheit? Wie kann man sie erlangen? Gibt es die Freiheit wirklich?

Audino Diaz: Der Wald als Tempel, als Ort der Begegnung zwischen Mensch und Gottheit.

Jessica Wetherly: Es geht um Migration, um die Bewegung von Menschen. Aber auch von Pflanzen und Tieren angesichts der Klimagerechtigkeit.